Studie des Deutschen Wirtschaftsinstituts: Aufwachsen in bildungsfernen Familien: Ergebnisse des Mikrozensus zu Häufigkeit und Folgen

Zusammenfassung und Kommentar von Wolfram Hartmann

Zusammenfassung
In den letzten Jahren wachsen immer mehr Kinder in Deutschland in bildungsfernen Milieus auf. So ist der Anteil der Minderjährigen mit Eltern ohne berufsqualifizierenden Abschluss einer eigenen Auswertung des Mikrozensus zufolge zwischen den Jahren 2011 und 2021 von 11,4 Prozent auf 17,6 Prozent gestiegen. Mehr als jedes zwanzigste Kind gehört inzwischen der besonders vulnerablen Gruppe der Kinder mit Eltern ohne Schulabschluss an.

Allerdings ist die Lage regional sehr unterschiedlich. Besonders hoch sind die Anteile in den Großstädten in Nordrhein-Westfalen und eher niedrig in den kleineren Kommunen mit weniger als 20.000 Einwohnern in den neuen Bundesländern und in Bayern.

Bei vielen dieser bildungsfernen Kinder bestehen noch weitere Risikofaktoren für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn, wie Fremdsprachigkeit und Arbeitsmarktferne der Eltern. Im Ergebnis besuchen sie nicht nur wesentlich seltener in der Sekundarstufe I ein Gymnasium. Sie sind im Alter von 15 bis 17 Jahren auch weit häufiger übergewichtig als die nicht bildungsfernen Kinder.

So benötigen sie nicht nur im Bildungsbereich eine gezielte kompensatorische Förderung, die möglichst direkt in ihrem Lebensumfeld angesiedelt sein sollte. Allerdings besuchten im Jahr 2021 den Angaben im Mikrozensus zufolge nur 17,1 Prozent der bildungsfernen unter Dreijährigen und 73,4 Prozent der bildungsfernen Drei- bis Fünfjährigen eine Kita, im Vergleich zu 29,6 Prozent und 87,5 Prozent der nicht bildungsfernen Kinder in diesem Alter.

Möchte man die Lage der bildungsfernen Kinder in Deutschland nachhaltig verbessern, muss man zunächst sicherstellen, dass sie von kompensatorischen Angeboten erreicht werden können. Dazu ist eine intensive Sensibilisierung der Eltern für die Bedeutung der institutionellen Betreuung notwendig, sofern man nicht wie andere Länder eine Kindergarten- oder Vorschulpflicht einführen möchte. Hier müssen Angebote kontinuierlich weiterentwickelt werden, um bestmöglich den jeweiligen (Kompensations-)Bedarfen der Kinder gerecht zu werden. Gleiches gilt auch für die Schulen. Besonders groß sind die Handlungsbedarfe dabei in Einrichtungen, die von sehr vielen Kindern aus ungünstigen familiären Kontexten besucht werden. Daher sollten diese mit zusätzlichen finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet werden. Am besten kann dies über eine Zuweisung anhand eines Sozialindexes realisiert werden.

Hilfreich ist aber auch eine gezielte Förderung besonders betroffener Einrichtungen, wie sie mit dem Startchancen-Programm für die Schulen geplant ist (Geis-Thöne/Plünnecke, 2024).

Kommentar
Wir vom Deutschen Kinderbulletin (DKB) weisen seit vielen Jahren immer wieder eindringlich darauf hin, dass Kinder aus sozial schwachen und dabei zumeist bildungsfernen Familien, also etwa 20 Prozent aller Kinder eines Geburtsjahrganges, unter diesem politischen Desinteresse leiden. Diese Kinder haben in der Regel von Anfang an deutlich schlechtere Chancen auf eine gute Schul-, Ausbildungs- und Berufsperspektive als Kinder, die in einem besser situierten Umfeld aufwachsen. Untersuchungen zeigen, dass es in Familien des unteren sozialen Status (Einkommensarmut und Bildungsferne) häufig daran fehlt, auf die entwicklungsstimulierenden Bedürfnisse ihrer Kinder einzugehen. Da solche frühkindlichen Entwicklungsanregungen aber unabdingbar für eine altersgerechte Entwicklung sind, kommt es dazu, dass die betroffenen Kinder bereits zum Schuleintritt im Vergleich zu anderen Kindern keine ausreichende Entfaltung u.a. der Sprach- und kognitiven Entwicklung, des Sozialverhaltens und der allgemein intellektuellen Entwicklung haben. Wir sprechen von soziogenen Entwicklungsstörungen. Diese Entwicklungsstörungen beeinträchtigen nachhaltig das gesamte weitere Leben. Heute wissen wir, dass diese Entwicklungsstörungen dadurch verhindert werden könnten, wenn von frühester Kindheit an die mangelnde innerfamiliäre Entwicklungsanregung außerhalb der Familie - in entsprechenden Strukturen - kompensiert würde.

Die am 14. Januar 2025 veröffentlichte Studie des Deutschen Wirtschaftsinstituts „Aufwachsen in bildungsfernen Familien: Ergebnisse des Mikrozensus zu Häufigkeit und Folgen“ zeigt, dass in den letzten Jahren immer mehr Kinder in Deutschland in bildungsfernen Milieus aufwachsen. So ist der Anteil der Minderjährigen mit Eltern ohne berufsqualifizierenden Abschluss einer eigenen Auswertung des Mikrozensus zufolge zwischen den Jahren 2011 und 2021 von 11,4 Prozent auf 17,6 Prozent gestiegen. Danach gehört inzwischen mehr als jedes zwanzigste Kind der besonders vulnerablen Gruppe der Kinder mit Eltern ohne Schulabschluss an.

Bei vielen dieser bildungsfernen Kinder bestehen noch weitere Risikofaktoren für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn, wie Fremdsprachigkeit und Arbeitsmarktferne der Eltern. Im Ergebnis besuchen sie nicht nur wesentlich seltener in der Sekundarstufe I ein Gymnasium. Sie sind im Alter von 15 bis 17 Jahren auch weit häufiger übergewichtig als die nicht bildungsfernen Kinder. So benötigen sie nicht nur im Bildungsbereich eine gezielte kompensatorische Förderung, die möglichst direkt in ihrem Lebensumfeld angesiedelt sein sollte. Allerdings besuchten im Jahr 2021 den Angaben im Mikrozensus zufolge nur 17,1 Prozent der bildungsfernen unter Dreijährigen und 73,4 Prozent der bildungsfernen Drei- bis Fünfjährigen eine Kita, im Vergleich zu 29,6 Prozent und 87,5 Prozent der nicht bildungsfernen Kinder in diesem Alter.

Wir fordern:

die frühzeitige Identifikation betroffener Kinder und ihrer familiären Situation

die Vermittlung von sozialen und erzieherischen Hilfsangeboten für die Eltern

und institutionalisierten Entwicklungsanregungen für die Kinder.

 

Dafür benötigen wir u.a.:

  • Niedrigschwellige Unterstützungsangebote durch sogenannte Sozialraumlots:innen. Diese Lots:innen würden betroffene Familien aktiv aufsuchen, über Unterstützungsangebote informieren, Kontakte herstellen, sie zu Terminen begleiten und sich um die Vermittlung von U3-Kita-Plätzen kümmern. Eine Anbindung an die Frühen Hilfen wäre sinnvoll.
  • Eine frühere Schulpflicht wie z.B. in Frankreich könnte dazu beitragen, dass Kinder früher und regelhaft von institutionellen Bildungs- und Entwicklungsangeboten profitieren.
  • Bestens ausgestattete Kindertageseinrichtungen, die ihrem Bildungsauftrag gerecht werden können.
  • Kinder mit und ohne Beeinträchtigungen aus sozioökonomisch benachteiligten Familien sollten in einem barrierefreien Betreuungs- und Bildungssystem aufwachsen. Teilhabe darf keine Frage des sozialen Status oder der Herkunft sein. Zugangshindernisse und Erschwernisse müssen identifiziert und systemübergreifend abgebaut werden.
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