Auch 10 Jahre nach Einführung des Rechtsanspruchs auf einen KiTa-Platz gibt es für die Initiatoren des Deutschen Kinderbulletin, dem Wissenschaftler, Kinder- und Jugendärzte sowie Bildungsforscher angehören, eine alarmierend Erkenntnis. Die Chancen auf einen KiTa-Platz sind umso geringer sind, je prekärer die sozioökonomischen Verhältnisse von Familien sind, in denen Kinder leben.
Diese Ergebnisse hat jetzt das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) zu Tage gefördert. In der aktuellen und repräsentativen Kinderbetreuungsstudie (Kilbs) des Deutschen Jugendinstituts für die Jahre 2013 bis 2020 sind hierfür Daten der KiTa-Nutzung von rund 96.000 Jungen und Mädchen ausgewertet worden. Demnach haben Kinder aus bildungsferneren Familien, aus armutsgefährdeten Verhältnissen oder aus Haushalten, in denen kein Deutsch gesprochen wird, deutlich geringere Chancen auf einen Betreuungsplatz. Die Unterschiede sind frappierend: Im Jahr 2020 hatte nur etwa jedes vierte (23 Prozent) armutsgefährdete Kind unter drei Jahren einen Platz in einer KiTa. Dagegen waren es bei Familien aus nicht prekären Verhältnissen genau doppelt so viele (46 Prozent). Dieses Ungleichgewicht hat sich aktuell noch verstärkt. Ähnlich gravierende Differenzen offenbaren sich auch bei Familien mit Migrationshintergrund. In der Gruppe der Kinder, die zu Hause hauptsächlich Deutsch reden, gehen 38 Prozent in eine KiTa. Bei den Jungen und Mädchen, in deren Familien kein Deutsch gesprochen wird, trifft dies hingegen nur für 24 Prozent zu.
Die vielfach verbreitete Meinung, wonach Kinder aus Familien mit Migrationsgeschichte, die zu Hause kein Deutsch sprechen, häufig gar keinen KiTa-Platz vor dem 3. Lebensjahr haben möchten, kann Dr. Sophia Schmitz, Mitautorin der Studie, in keiner Weise teilen. Trotz eines Betreuungswunsches der Eltern würde aus dieser Gruppe nur jedes zweite Kind eine KiTa besuchen können. Dadurch können in den ersten Lebensjahren viele Kinder ihre vorhandenen Bildungspotenziale nicht entfalten, weil sie weder in der Familie noch in der KiTa gefördert werden. stellt das Deutsche Kinderbulletin ernüchternd fest.
Um die Teilhabechancen gerade dieser benachteiligten Kinder zu verbessern, plädiert das BiB für den Einsatz von Multiplikatoren, die benachteiligte Familien aufsuchen und dort über die Vorteile einer frühen KiTa-Bildung informieren und die Eltern dann auch bei der Suche nach Betreuungsplätzen aktiv unterstützen. Das kann durchaus gelingen, wie die Ergebnisse einer mehrstufigen Befragungsstudie einer deutschen Hochschul- und Wissenschaftsinitiative belegen. Bereits ein vierminütiges Informationsvideo, das über den Anspruch auf Betreuung, die Gebührenbefreiung bei niedrigem Einkommen sowie die Vorteile von frühzeitigen und mehrfachen Bewerbungen informiert, ist effektiv. Wenn dann auch noch eine Kita-Bewerbung individuell von (dafür geschulten) Studierenden (etwa bei Bewerbungsverfahren oder beim Ausfüllen von Formularen) unterstützt wird, können die Nachteile bildungsferner Familien durchaus kompensiert werden. Denn der Anteil derjenigen, denen bei der Bewerbung für einen KiTa-Platz geholfen wurde, stieg um rund zwei Drittel - im Vergleich zur Zeit davor ohne Unterstützung - an.
Schon immer war und ist es eine Forderung des DKB gewesen, gerade für sozial bedrängte und bildungsferne Familien einen aufsuchenden Dienst vorzuhalten (Sozialraumlotse), der sowohl die Kinder in die notwendige U3-Betreuung vermittelt als auch die Eltern ihre Hemmungen überwinden lässt, Angebote von Hilfe- und Unterstützungseinrichtungen (z.B. Frühe Hilfen) anzunehmen und aufzusuchen. Hiermit könnte die geringe Steuerungskompetenz der betroffenen Familien ausgeglichen werden, die eigeninitiatives Handeln zumeist verhindert.
Weiterer positiver Effekt: Mütter, denen bei der Kita-Bewerbung geholfen wurde, arbeiteten rund zweieinhalb Mal so häufig mindestens 30 Stunden pro Woche wie Mütter, die nicht unterstützt wurden. In den unterstützten Familien war das Einkommen der arbeitenden Mütter 22 Prozent höher, das Haushaltseinkommen dadurch 10 Prozent höher. Der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen fiel innerhalb der Haushalte rund ein Drittel kleiner aus. Bei Familien mit höherem Bildungsabschluss hatte die Unterstützung bei der Kita-Bewerbung dagegen keine Effekte – weder auf die Kita-Betreuung noch auf Arbeitszeiten oder Einkommen der Mütter.
Erstaunlicherweise konnten diese Effekte mit recht geringem Aufwand erzielt werden. Die Studierenden halfen den Familien im Mittel lediglich anderthalb Stunden. „Unterstützung für Familien, die Schwierigkeiten haben, sich mit dem Kita-System zurechtzufinden, ist also ein einfaches Mittel mit großem Ertrag“, bestätigt Dr. Frauke Peter vom Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Eine lohnenswerte Investition also, von der aber Kinder bislang kaum profitieren.
Um überhaupt mehr sozial benachteiligte Kinder in einer Kita unterzubringen, ist jedoch weiterhin der Ausbau von qualitativ guten und personell ausreichend bestückten KiTa-Plätzen dringend geboten, fordert das Deutsche Kinderbulletin. Das zum 1.Januar 2023 in Kraft getreten KiTa-Qualitätsgesetz, das bis Ende 2024 mit insgesamt rund vier Milliarden Euro ausgestattet ist, ziele in die richtige Richtung. Ob damit allerdings auch die Fachkräftemisere abgemildert werden kann und davon dann die Kinder profitieren werden, bei denen die Zugangsbarrieren zu frühkindlicher Bildung bislang verschlossen waren, ist damit noch längst nicht ausgemacht. Das Deutsche Kinderbulletin wird daher in den nächsten beiden Jahren die Entwicklung weiter beobachten und immer wieder kritisch auf den Prüfstand stellen.