DKB: Kommentierung Einführung Grundsicherung
Als „Kampfansage gegen Kinderarmut“ in Deutschland soll in diesem Jahr die von vielen schon lange geforderte Kindergrundsicherung eingeführt werden. Grundidee ist die, dass alle Familien einen gleich hohen Garantiebetrag erhalten, zu dem sich ein einkommensabhängiger Zusatzbetrag addiert. Verschiedene kindbezogene finanzielle Leistungen werden vereinfachend zusammengezogen. Aktuell wird von einem Mindestbetrag von etwa 290 € ausgegangen, der Höchstbetrag, den Familien mit keinem oder geringen Einkommen erhalten, soll sich auf € 573 belaufen. Unter der Leitung der Familienministerin sind die vier für Arbeit, Finanzen, Bildung und Bauen zuständigen Ministerien an der Konzeption beteiligt.
Vom Grundsatz her begrüßt das Deutsche Kinderbulletin die Einführung der Grundsicherung, zumal jedes 5. Kind in von Armut betroffenen oder davon bedrohten Familien aufwächst. Durch diesen einen Baustein mag man dem Ziel der Schaffung angemessener Lebensverhältnisse und ihrer bundesweiten Angleichung ein kleines Stückchen näherkommen. Diese Verbesserung wäre im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK), die In Deutschland seit über 30 Jahren Gültigkeit hat: finanzielle Unterstützung mag dazu beitragen, dass Eltern – gemäß Art. 27 der UN-KRK – im Rahmen ihrer Möglichkeiten für angemessene Lebens- und Aufwachsensbedingungen Sorge tragen können.
Aber: (Kinder-)Armut darf nicht allein ökonomisch definiert werden. Eine derart verkürzte Definition wird dem Grundverständnis von Armut als komplexer Lebenslage nicht gerecht. Dadurch dürfen weitere wichtige Aspekte nicht aus dem Blick geraten. So gibt es hinreichende Evidenz dafür, dass im unteren sozioökonomischen Statusbereich, dem etwa 15-20 % der Bevölkerung zugerrechnet werden, in der Regel die finanzielle Armut mit Bildungsferne gekoppelt ist. Bildungsferne scheint aber stärker als materielle Belastungen dafür verantwortlich zu sein, ob Kinder gesund aufwachsen und die notwendigen Entwicklungsanregungen erhalten, um ihre angeborenen Potentiale angemessen entfalten können. In der UN-KRK haben die Vertragsstaaten explizit das Kinderrecht auf Bildung unterzeichnet. Und diese muss, gemäß Art. 28, „darauf gerichtet sein, die Persönlichkeit, die Begabung und die geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Kindes voll zur Entfaltung zu bringen.“
Wenn diesem Anspruch Genüge getan werden soll, sind noch viele weitere Investitionen erforderlich (Build Back Fairer, M. Marmot 2021). Eine ausreichende Zahl früher institutioneller Betreuungsmöglichkeiten in Kita und Kindertagespflege ist unerlässlich, eine hinreichende Qualität der Angebote unerlässlich. Für die Kinder, die aufgrund mangelnder elterlicher Ressourcen besonders auf externe Entwicklungsstimulation angewiesen sind, muss der Zugang zu früher Bildung erleichtert, ggf. durch Lotsenmodelle gebahnt werden. Ein differenziertes, inklusives Schulsystem sollte dafür Sorge tragen, dass angemessene Schulkarrieren möglich sind und sich die Zahl der Schulabbrecher reduziert; nicht nur den Abbrüchen, sondern auch den im Vorfeld häufig zu beobachtenden unterschiedlich begründeten Formen des „Schulabsentismus“ muss konsequenter und effektiver entgegengewirkt werden. Jugendämter müssen hinreichend ausgestattet sein, um ihren vielfältigen Aufgaben der Familienbegleitung, -unterstützung und ggf. sogar der familienersetzenden Aufgaben gerecht zu werden. Zugangsbarrieren für Freizeit- und Sportangebote müssen identifiziert und abgebaut werden. Die Liste kann noch endlos fortgesetzt und erweitert werden; Professionen und Institutionen, die sich um die gesundheitliche, pädagogische, Berufs- und Lebensperspektiven entwickelnde Betreuung von Kindern und Jugendlichen bemühen, werden aus ihren Perspektiven jeweils weitere Anliegen ergänzen.
Für das Deutsche Kinderbulletin sind Investitionen in die Strukturen und die Qualität Früher Betreuung prioritär. Sie setzen in einer besonders für Entwicklungsimpulse und Verhaltensprägung sensiblen Phase an und ergänzen elterliche, familiäre Möglichkeiten; wo diese nicht ausreichen, können sich Zeitfenster schließen und später nur schwer zu öffnen sein. Nachgewiesener Maßen bringen Investitionen in gute frühe Bildung – neben einem unbestrittenen hohen individuellen Nutzen- sogar eine hohe gesamtgesellschaftliche Rendite, wenn man eine längerfristige ökonomische Analyse vornimmt.