Wo die Suche nach einer Kita am schwierigsten ist

Zusammenfassung und Kommentar zu einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft und des Instituts für Gesellschaftsforschung der Max-Planck-Gesellschaft

Von Wolfram Hartmann und Ulrich Fegeler

Obwohl frühkindliche Bildung in Deutschland zu größten Teilen öffentlich finanziert wird, bestehen große Unterschiede in der Versorgung mit Kitas, zeigt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung (MPIfG).

- Auffällig: Wohlhabende Stadtteile sind bundesweit deutlich besser versorgt.

Schon seit zehn Jahren haben Kinder ab dem ersten Lebensjahr rechtlichen Anspruch auf einen Kitaplatz. Viele Eltern haben dennoch Schwierigkeiten, eine Kita für die eigenen Kinder zu finden. Eine neue IW-Studie zeigt: Die Versorgung unterscheidet sich stark je nach Stadt. Für 54 der größten Städte Deutschlands haben die Forscher mithilfe von Geo-Daten nicht nur die Kita-Zahl untersucht, sondern auch, wie viele tatsächlich erreichbar sind und berücksichtigt, ob die Kitas in kinderreichen oder kinderarmen Stadtteilen liegen.

Am besten schneidet Heidelberg ab. Hier kommen im Stadtdurchschnitt (gewichtet nach Zahl der Kinder im Quartier) auf eine erreichbare Kita rund 61 Kinder im Alter bis sechs Jahren. In der zweitplatzierten Kommune Ulm sind es schon 71 Kinder, in Frankfurt am Main 72. Besonders schlecht versorgt sind neben Krefeld (166 Kinder) die Ruhrgebietsstädte Gelsenkirchen (165), Duisburg (159), Essen (154) und Oberhausen (133).

- Besonders schlechte Versorgung in sozialschwachen Stadtteilen

Auch innerhalb der Städte sind die Unterschiede groß: In wohlhabenden Vierteln ist das Kita-Angebot spürbar besser. Dort gibt es etwa ein Drittel mehr Einrichtungen als in prekären Stadtteilen.

Auffällig: Öffentliche Kitas sind in beiden Bereichen ähnlich häufig vertreten. Die Unterschiede entstehen durch (öffentlich-geförderte) Kitas in freier Trägerschaft. Von Kitas mit konfessionellen Trägern werden wohlsituierte Stadtteile rund 20 Prozent besser versorgt als der Stadtdurchschnitt, während die sozialschwächsten Viertel 13 Prozent schlechter versorgt sind. Auch andere gemeinnützige Anbieter konzentrieren sich stärker auf besser gestellte Wohngebiete.

- Bildungschancen hängen vom Wohnort ab

In Westdeutschland wäre die Ungleichheit sogar noch größer, wenn öffentliche Kitas nicht häufiger in ärmeren Stadtteilen angesiedelt wären. Trotzdem seien die Ergebnisse besorgniserregend: „Dort, wo frühkindliche Bildung am dringendsten gebraucht wird und am meisten hilft, ist sie am rarsten“, sagt IW-Ökonomin Melinda Fremerey. „Die enorme Ausweitung an Kita-Betreuungsinfrastruktur hat uns dem Versprechen gleicher Bildungschancen nicht nähergebracht“, fügt Studienautor Matthias Diermeier hinzu. Dazu müsste der Kita-Ausbau besonders in prekären Stadtteilen forciert werden. Helfen könnten zudem eine bessere Steuerung freier Träger sowie eine Unterstützung von Elterninitiativen in sozial schwächeren Stadtteilen. 

Zur Methodik: Die Autoren haben Geo-Daten von 66.355 Kitas deutschlandweit erhoben und für 54 Großstädte ausgewertet. Erfasst wurden öffentliche, konfessionelle und sonstige gemeinnützige Träger. Die Erreichbarkeit wurde auf Basis der Fahrtzeit per Pkw innerhalb von fünf Minuten vom jeweiligen Stadtteilmittelpunkt berechnet. Für alle Ergebnisse wurden die Quartiere anhand der Anzahl dort gemeldeter Kinder gewichtet.

Kommentar
von Ulrich Fegeler und Wolfram Hartmann

Dass freie Träger wie AWO, Diakonie, katholische Träger u.a. ihre Einrichtungen nicht dort betreiben, wo die frühkindliche Bildung besonders nötig ist, ist empirisch bekannt, aber noch nicht so eindrucksvoll mit viel Zahlenmaterial nachgewiesen, wie in der gemeinsamen Studie des Institutes der Deutschen Wirtschaft und des Max-Planck-Institutes für Gesellschaftsforschung. Die Frage, die sich an solche und ähnliche Studien immer wieder anschließt, ist: was ist dieser Gesellschaft eine gute frühkindliche Bildung auch derjenigen Kinder wert, die es von zu Hause aus schwer haben? Die nicht die ihnen innewohnenden schlummernden Entwicklungspotenziale in der Form geweckt bekommen, dass sie später einen guten Schulabschluss, eine Ausbildung oder Lehre oder Studium absolvieren und ein kreatives und an der Weiterentwicklung dieser Gesellschaft anteiliges Leben führen können. 50.000 Jugendlich pro Jahr schaffen keinen Hauptschulabschluss und stehen vor einer fast aussichtslosen Zukunft. Diese Kinder rekrutieren sich fast ausschließlich aus Familien, die anregungsarm, zudem bildungsfern und einkommensschwach sind, sie gehören zum untersten Quintil des sog. Sozialstatus-Bereichs. Bereits in den Schuleingangsuntersuchungen sind die in ihrer frühkindlichen Entwicklung gehemmten Kinder in Bezug auf ihre sprachlichen, kognitiven, verhaltensbezogenen und allgemein intellektuellen Kompetenzen teilweise um eine Mehrfaches schlechter dran als Kinder aus Familien mit höherem Sozialstatus. Wir sprechen hier im Unterschied zu den körperlich bedingten Formen einer Entwicklungsstörung von soziogenen Entwicklungsstörungen.

Aber es ist nicht allein die bedrängte wirtschaftliche Situation dieser Familien, die ihre Kinder in eine schwierige Zukunft entlässt. Es ist wesentlich auch die mangelnde frühkindliche Anregung der angeborenen Fähigkeiten, welche, nicht angeregt, sich auch nicht optimal entfalten. Neurobiologisch werden hierfür zwar alle Voraussetzungen durch eine überschießende Vernetzungsaktivität der anfangs noch weitgehend unvernetzten Neurone geschaffen, aber solche Vernetzungen sind nur stabil und werden sogar wieder abgebaut, wenn sie nicht "gebraucht" werden, wenn kein äußerer Stimulationsinput erfolgt. 

Hier ist der entscheidende Ansatzpunkt für eine wirksame Hilfe. Solche Kinder müssen in ihrer Situation früh erkannt und früh gefördert werden, z.B. durch eine U3-Kita. Ein solches "Erkennen" kann sehr gut durch die Kinder- und JugendärztInnen in der Grundversorgung im Rahmen der Früherkennungsuntersuchungen geschehen. Aber es muss sich dann auch jemand um die entsprechenden Familien kümmern, sie aufsuchen, die Probleme erkennen und helfen, sie abzustellen. Das Deutsche Kinderbulletin hat hierzu mehrfach die Einrichtung eines Sozialraumlotsen empfohlen, die als eine leicht zu aktivierende, aufsuchende Institution konzipert sein soll. Besonders wichtig wäre die Vermittlung eines U3-Kita-Platzes so früh wie möglich, um die häuslichen Anregungsdefizite auszugleichen. Da U3-Kita-Plätze in der Regel sehr umkämpft sind, weil es viele berufstätige Mütter gibt, die ihre berufliche Tätigkeit und Laufbahn aufrecht erhalten wollen, könnte der Sozialraumlotse allein hier eine starke Unterstützung bieten. Die heute immer noch mehrheitlich geübte Form der reinen Terminempfehlung z.B. in den Geburtskliniken oder beim Neugeborenen-Begrüßungsbesuch für die Frühen Hilfen oder dargereichte Flyer mit einer Übersicht über die Hilfe- und Unterstützungsmöglichkeiten für Familie und Kind im Sozialraum bringen in der Regel eher wenig Erfolg. 

Fazit: Nicht nur, dass es die vornehmlich privaten Träger dazu drängt, ihre Kita-Einrichtungen eher in den sozial besser gestellten Bezirken und Gemeinden einzurichten, auch der Zugang zu den wenigen U3-Plätzen in den sozial schwierigen Bezirken hat hohe Schwellen. Wir brauchen also trotz mancher Fortschritte nach wie vor mehr U3-Kita-Plätze und vor allem mit dem Sozialraumlotsen eine aufsuchende Struktur, die sich effektiv um die entwicklungsgefährdeten Kinder kümmert.

 

 

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