Wie kommen wir zu mehr Chancengleichheit?

Von Ulrike Horacek

Kongress Armut und Gesundheit – „In einer verrückten Zeit brauchen wir Kompass, Kreativität und Courage“

Schon zum 28. Mal wird der Public Health Kongress Armut und Gesundheit in Berlin veranstaltet. Die Eröffnung fand am 6.3.23 zu Beginn des zweitägigen digitalen Teils statt, am 21. und 22. März folgte dann der Präsenzteil.

Am vorgeschalteten Satellitensymposium mit dem Titel „Der ÖGD in der kommunalen Landschaft der Zukunft“ nahmen über 300 Interessierte teil. Unisono wurde bekräftigt, dass von allen Seiten eine starke Unterstützung des kommunalen ÖGD erforderlich sei, so auch im aktuellen Gutachten des Sachverständigenrates für Gesundheit und Pflege (SVR), das in seinen Grundzügen vorgestellt wurde.

Das Aufgabenspektrum der Gesundheitsämter solle laut SVR weiterentwickelt und im Sinne kommunaler Prävention und Gesundheitsförderung ausgestaltet werden. Dafür seien Ausbildungstiefe, Attraktivität der Berufsbilder und Spektrum der Disziplinen in multiprofessionellen Teams zu erhöhen. Ein stärkeres „Einbeziehen der Public Health Perspektive“ hat man wohl im Blick - nicht aber den umgekehrten Pfad: Erfahrungen und Expertise aus den dezentral und sozialkompensatorisch arbeitenden Kinder- und Jugendgesundheitsdiensten z.B. wäre eine notwendige Vervollständigung und Bereicherung im Hinblick auf die Zielgruppe von benachteiligten Kinder, Jugendlichen und Familien.

Letztere standen bei vielen Symposien des online Teils, ausgehend von den Frühen Hilfen, als Adressaten im Mittelpunkt. Die Frühen Hilfen, hier als Vermittler und Gestalter von Gesundheitsförderung für Familien, profitieren spürbar von der länderübergreifenden nationalen Organisation und der wissenschaftlichen Expertise des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen. Sie können sich auf Instrumentenkästen, Standards, entwickelte Qualitätskriterien und Managementprogramme stützen – im Gegensatz zum ÖGD, für den ein Pendant zumindest auf nationaler Ebene fehlt.

Daseinsfürsorge für Kinder stärken

Ob und wie die angekündigte Gründung eines Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit und einer wissenschaftlichen Fachgesellschaft für den ÖGD in ähnlicher Weise wirksam werden, bleibt abzuwarten. In der Praxis bleibt zu hoffen, dass der durch den Pakt für den ÖGD beförderte Personalzuwachs auch und gerade den kommunalen Kinder- und Jugendgesundheitsdiensten zugutekommt, damit diese wieder für ihre Kernaufgabe "Daseinsfürsorge vor Ort im Gemeinwesen" zur Verfügung stehen können.

In ihrer Eröffnungsrede problematisierte die Politökonomin Prof. Maja Göpel, dass die soziale Gerechtigkeit und die ökologische Schutzfrage zu häufig gegeneinander ausgespielt würden. Vehement forderte sie ein Umdenken dergestalt, dass das ökonomische Paradigma infrage gestellt werden solle; es müsse heute mehr denn je um grundsätzliche Fragen gehen: wie wichtig sind uns gesunde Menschen, die ihre Zukunft gestalten können?

So bezieht sich das Diskussionspapier zum diesjährigen Kongress auf den Review Build back fairer von Sir Michael Marmot (2021). Er bekräftigt darin, dass die Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten – einschließlich derer, die durch die Pandemie verschärft wurden - nur durch eine langfristige Politik verringert werden könne, bei der Chancengleichheit im Mittelpunkt stehe.

Gleichzeitig nehmen die Folgen des Klimawandels immer rascher und deutlicher zu. Sie betreffen uns alle, bedrohen menschliches Wohlergehen und planetares Weiterbestehen. Ohne solidarisches, zügiges und zielorientiertes Handeln laufen wir Gefahr, dass „ein kurzes und sich rasch schließendes Zeitfenster verpasst wird, um eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern“.

Mehr Gesundheitskompetenz – hohe Resilienz

Die Begriffe Förderung von Resilienz und Gesundheitskompetenz ziehen sich wie ein roter Faden durch das Programm. Sie bleiben für das Anliegen gesundheitlicher Chancenangleichung wichtige Schlüsselbegriffe und Stellschrauben. Sie können und müssen sich sowohl auf die individuelle wie auch auf die organisationale/institutionelle Ebene beziehen. Damit erfolgt auch ein Brückenschlag zu den Themen Gesundheitsförderung und Prävention, die, um wirksam und nachhaltig zu sein, an Verhältnissen und Verhalten ansetzen müssen.

Dies z.B. im Sinne einer Nationalen Präventionsstrategie festzuschreiben, erfordert in einem föderalen Staat mit komplexen (Versorgungs-)Strukturen in der Tat Kompass (Zielorientierung), Kreativität (offene Nutzung vieler Expertisen und Sichtweisen, vor allem Partizipation) und Courage (Denken, Entscheiden und Handeln über Systemgrenzen hinaus).

Der Kongress wurde wieder ausgerichtet vom Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit und vom Verein Gesundheit Berlin-Brandenburg. Dabei nahmen viele Verbände und erfahrene Experten aus der Praxis teil, dazu Institutionen vornehmlich auf Länderebene, die sich Prävention, Gesundheitsförderung und das Erreichen Benachteiligter auf die Fahne schreiben.

Dafür setzt sich auch das Deutsche Kinderbulletin nachdrücklich ein, nicht zuletzt um neben Gesundheit auch die Entwicklungsanregung von Kindern aus dieser Zielgruppe zu befördern.

Der Appell an die Rahmenbedingungen schaffende und gestaltende Politik, den Dreiklang von Kompass, Kreativität und Courage einzusetzen, ist also vielstimmig. Es bleibt zu hoffen, dass er dort ankommt und dass dies für unserer Kinder, Jugendliche und Familien wirklich Früchte trägt.-

Am 21. und 22.3.23 besteht die Gelegenheit, sich im Präsenzteil des Kongresses in der Freien Universität Berlin weiter zu informieren und inspirieren zu lassen und Kreativität und Courage miteinander aufzutanken!

Informationen zum Kongress unter https://2023.armut-und-gesundheit.de

 

(Referenzen und Quellen bei Verfasserin)

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